Harzer Hexenstieg: Tag 3 – Polsterberg bis Torfhaus
Vorsichtig schauten wir heute Morgen aus dem Fenster – und siehe da, die Sonne versuchte mit aller Macht aus den Wolken hervorzubrechen. Endlich eine Wanderung ohne Nässe von oben.
Nach einem ausgiebigen Frühstück und einer liebevollen Verabschiedung aus dem Landhaus Meyer wurden wir per Wandertaxi zurück an unsere gestrige Ausstiegstelle – den Polsterberg – gefahren. Die Tour gestaltete sich anfangs etwas schwerfällig, mussten wir doch über etliche Spurrinnen der Försterei balancieren. Von überall her hörten wir Kettensägen. Unser Fahrer hatte uns erklärt, dass schon seit Jahren der Harz wieder aufgeforstet würde – der Borkenkäfer und die Trockenhet machten eine Umstrukturierung des Waldes notwendig. Wie notwendig erfuhren wir erst am Ende dieser Wanderung.
Als der Wald sich lüftete, tat sich vor uns endlich einmal die Schönheit der Harzer Landschaft auf. Kein Regen, kein Matsch, nur ein wunderschöner Wanderweg.
Der erstreckte sich über wenige Kilometer und führte uns schließlich zu einem Wanderweg entlang eines eisenfarbenen Wassergrabens, der uns fast bis zum Rest der Strecke begleitete.
Hier war es herrlich. Neben haufenweise Informationen rund um die Wassserkraft im Bergbau, faszinierte uns hier vor allem die ruhige Abgeschiedenheit, der wunderbar weiche Waldboden, der von Tannennadeln übersäht war und die vielen traumhaften Ausblicke.
Zwischendurch schaffte es sogar die Sonne durch die Wolken und auf einmal war der ganze Frust von gestern vergessen. Die Unterseiten der Blätter glitzerten im Wind wie kleine Blüten. Das Licht fiel durch das bunte Herbstlaub, im Wasser spiegelten sich die Wolken und der Wind pfiff uns fröhlich ein Lied, als wolle er uns liebevoll anschieben. Die Füße trugen uns leichter, der Kopf wurde freier und die Laune immer besser.
Irgendwann öffnete sich der Wald vor uns und wir trafen auf ein unglaubliches Panorama. Leider nicht im positiven Sinne. Kilometerweise abgestorbene Nadelbäume, gerodete Flächen und umgeknickte Stämme, so weit das Auge reicht. Fassungslos blickten wir auf das öde Land, was sich uns bot. Anja meinte, Sauron aus „Herr der Ringe“ hätte einmal durch das Land gewütet – und genau so sah es aus.
Wie krass der Harz wirklich von Trockenheit und Borkenkäfer betroffen ist, wurde uns erst hier bewusst.
Schweigend wanderten wir durch die umgestürzte Baumlandschaft, blickten mit gemischten Gefühlen über die gerodeten Flächen und mit mulmigen Gefühlen zu den vollständig abgestorbenen Baumflächen. Wir lasen die Warnung, man solle sich achtsam bewegen und dass niemand Verantwortung übernähme, falls man von einem umfallenden Baum getroffen würde.
Das letzte Wegstück in Richtung Torfhaus war deswegen irgendwie bedrückend. Als wir einen ziemlich steilen Abhang herunterkletterten und versuchten, auf dem schlammigen Boden nicht auszurutschen, knarrzte auf dem gegenüberliegenden Hang ein Baumstamm, um dann mit berdohlichem Krachen einfach in sich zusammenzubrechen.
Man weiß nicht, was man denken soll: Ist das der Lauf der Natur und reguliert sie sich damit selbst? Schließlich sprießen zwischen den „Baumleichen“ auch neue, kleine Bäume – vor allem Fichten und Buchen.
Oder verfällt hier das „Ökosystem Harz“, weil es sich nicht schützen kann vor dem Borkenkäfer oder einer jahrelangen Wasserarmut?
Unser Fahrer sagte uns bei der Hinfahrt: „Ich werde es sicher nicht erleben, aber der Harz wird eine ganz neue Landschaft werden.“
Das letzte Stück nach Torfhaus ging es steil bergauf. Wir zwei kamen noch mal richtig ins Schwitzen. War der Weg bis jetzt immer nur mit leichten Steigungen verbunden, ging es dafür jetzt ans Eingemachte.
Immer den großen Sendemast des NDR im Blick, wanderten wir durch die gefährlichen Totholzwälder und später dann durch die bereits umgefallenen Bäume. Wie silberne Reliquien muteten sie auf dem herbstfarbenen Gräsern an. Oft kam uns der Gedanke, dass vielleicht durch eben jene mystische Landschaft der Harz mit so vielen Sagen und Märchen verbunden ist.
In Torfhaus angekommen, hatten wir es mit ganz profanen Problemen zu tun: unser Bus nach Braunlage fuhr nur einmal in der Stunde und sollte in zwei Minuten an der Bushaltestelle ankommen.
Mit einem kleinen Sprint schafften wir es – unsere Unterkunft ist etwas abseits vom Hexenstieg. Morgen werden wir hier wieder einsteigen.
Sehr unschön war die Busfahrt. Als wir zustiegen war der Bus bereits fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Trotz Corona, Abstandsregeln und Mundschutzpflicht hielt die Busfahrerin zwei weitere Male, um jeweils eine Schulklasse mitzunehmen. Viel zu vollgestopft fuhr der Bus die steilen Serpentinen nach Braunlage hinab. Hier konnten wir noch einmal die kilometerlangen toten Waldflächen sehen – es war wirklich gruselig.
Heute sind wir im Forsthaus Braunlage untergebracht. Luise schläft im Haupthaus in einem sehr schönen und modernisierten Zimmer. Anja schläft im Gästehaus in einem winzigen Zimmer mit Bad, in dem man sich nicht einmal umdrehen kann. Was soll’s – wir sind eine Nacht hier und zum Schlafen reicht’s.
Morgen geht’s in Richtung Brocken und leider ist damit unsere Hexenstiegwanderung dann auch schon wieder vorbei. Da das Erzgebirge Risikogebiet ist und Sachsen-Anhalt keine Risikogebietsbewohner beherbergt, müssen wir morgen zurück nach Osterode.
Fazit von heute: 19 km traumhafte Strecke mit vielen Aussichtspunkten, informativen Raststellen und einem mulmigen Gefühl.